Der Sohn des Schlafes ist Morpheus. Sein Vater ist Hypnos, der in der griechischen Mythologie der Gott des Schlafes ist. Um beide ging es in der Entscheidung, die der BGH mit Urteil vom 15.11.2012 (Az: I ZR 74/12) traf.
Der Sohn war in diesem Fall der Verletzer der Urheberrechte eines Rechteinhabers an mehreren Musiktiteln. Er nutze die Filesharing-Tauschbörsen Bearshare und Morpheus und bot hierüber urheberrechtlich geschützte Musikwerke zum Download an. Der Vater war (nach Meinung des Rechteinhabers) der Schlafende. Er war Beklagter in dem vor dem BGH verhandelten Verfahren. Nach Meinung des Rechteinhabers hätte er seinen minderjährigen Sohn überwachen müssen. Er hätte ihn nicht nur darüber belehren müssen, dass er solche Tauschbörsen nicht nutzen darf und dies rechtswidrig ist. Er hätte auch eine Firewall und ein Sicherheitsprogramm auf dem PC des Sohnes installieren müssen, damit dem Sohn die Installation und Nutzung der Filesharing-Tauschbörsen-Software gar nicht erst möglich gewesen wäre. Da er dies nicht getan hat, hätte der Vater als Störer im Rahmen der Störerhaftung dem klagenden Rechteinhabern auf Schadensersatz für entgange Lizenzgewinne und die entstandenen Abmahnkosten gehaftet.
Aufsichtspflichten über minderjährige Kinder laut BGH
Nach Ansicht des BGH hatte der Vater jedoch nicht „geschlafen“. Vielmehr war er seinen Aufsichtspflichten über seinen minderjährigen Sohn ausreichend nachgekommen:
Eltern genügen ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern – so der BGH – erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.
Der BGH gab seiner Entscheidung den Namen „Morpheus„. Diesen Namen wird man sich daher merken müssen.
Welche Konsequenzen hat das BGH-Urteil?
Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass der BGH bislang lediglich eine Pressemitteilung herausgegeben hat. Eine abschließende Analyse wird daher erst möglich sein, wenn das Urteil des BGH im Volltext veröffentlicht wurde. Hier können Halbsätze eine andere Einschätzung bestimmter Fragestellungen zur Folge haben. Auf der Basis der Pressemitteilung und der Berichterstattung zu der Verhandlung vor dem BGH, lässt sich bislang folgendes sagen:
1. Kein Grundsatzurteil zur Haftung in Filesharingfällen
Zumindest hinsichtlich der Frage der Überwachungs-/Aufklärungspflichten minderjähriger Kinder hat der BGH endlich für Klarheit gesorgt. Da eine Störerhaftung des Vaters verneint wurde, musste der BGH sich nicht mehr mit der, in den Vorinstanzen noch strittigen, Frage befassen, in welcher Höhe Schadensersatz pro Musikwerk im Wege der Lizenzanalogie zu zahlen gewesen wäre. Hier wäre eine Vorgabe seitens des BGH wünschenswert gewesen. So wird auch weiterhin die Höhe des zu veranschlagenden Schadensersatzes pro Musiktitel von Gericht zu Gericht abweichen.
2. Neuer Streit um Frage der Darlegungslast der Eltern zum Kind als Täter
Um ein Grundsatzurteil handelt es sich bei der BGH-Entscheidung nur hinsichtlich der Frage der Aufsichtspflichten von Eltern über minderjährige Kinder. Der „Abmahnwahnsinn“ wird aufgrund des neuen BGH-Urteils jetzt nicht stoppen.Vielmehr wird es voraussichtlich weiter um die Frage gehen, ob Eltern das minderjährige Kind als Täter der Urheberrechtsverletzung konkret benennen müssen oder ob es ausreicht, darzulegen, dass ein im Haushalt wohnendes minderjähriges Kind ebenfalls als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht kommt.
Hier reicht es vielen Gerichten, wenn der als Täter verklagte Elternteil darlegt, dass auch andere Haushaltsmitglieder als Täter in Frage kommen. Um eine Störerhaftung zu umgehen, muss dann bei minderjährigen Kindern auch dargelegt werden können, dass ein minderjähriges Kind entsprechend belehrt wurde und unklar ist, ob Ehefrau oder Kind die Urheberrechtsverletzung begangen haben.
3. Neuer Streit um die Frage der Einsichtsfähigkeit des minderjährigen Kindes
Weiter könnte dies dazu führen, dass nun zwar nicht mehr um die konkreten Aufsichtspflichten der Eltern gestritten wird, dafür aber über die Frage, wann ein minderjähriges Kind einsichtsfähig ist und wann nicht. Geht man mit dem BGH nun davon aus, dass z.B. ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind die Ge- und Verbote seiner Eltern verstehen und würdigen kann, könnte man hieraus auch auf eine Einsichtsfähigkeit des Kindes schließen.
4. Werden Ansprüche nun gegen die minderjährigen Kinder geltend gemacht?
Natürlich können sich die Rechteinhaber dann an die Kinder selbst als „Täter“ der Urheberrechtsverletzung wenden, falls die Eltern dazu gezwungen sind – etwa im Rahmen einer Gerichtsverfahrens – doch das Kind konkret zu belasten. Das Kind kann dann als „Täter“ auch für Abmahnkosten und Lizenzschäden in Anspruch genommen werden. Ob die Abmahnindustrie in solchen Fällen dann vermehrt gegen die Kinder vorgehen wird, kann noch nicht vorhergesagt werden, ist aber möglich.
Die Rechteinhaber könnten dann zukünftig versuchen, die Kosten der ersten Abmahnung, sowie die weiteren Anwaltskosten und die Schäden für entgangenen Lizenzgewinn gegenüber dem Kind geltend machen.
Ob das minderjährige Kind einen solchen Schadensersatz schuldet, hängt bei Kindern im Alter zwischen 7 und 18 Jahren zunächst einmal von ihrer Einsichtsfähigkeit ab. Diese wird bei Kindern ab 7 Jahren zunächst gesetzlich vermutet. Das Kind muss – wenn sich der Anspruch gegen es selbst als Täter richtet – also darlegen und beweisen, dass eine Einsichtsfähigkeit nicht bestand.Dies bestimmt sich nach folgendem, von der Rechtsprechung aufgestelltem Grundsatz:
Die Einsichtsfähigkeit besitzt derjenige, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung dazu fähig ist, zumindest allgemein (BGH NJW 1984, 1958; OLG Köln NJW-RR 1993, 1498 [1499]; Hk-BGB/Staudinger § 828 Rn 6) das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (BGH NJW 2005, 354 [355]).
Im Ergebnis ist dies demnach immer eine Frage des Einzelfalls. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, wird sich das Gericht dann immer selber ein Bild von dem Kind machen wollen.
Ob die Rechteinhaber es hier immer auf einen Prozess ankommen lassen werden, um dies im jeden Fall klären zu lassen, muss wohl eher ausgeschlossen werden. Vorstellbar wäre höchstens, dass sie sich auf eine bestimmte Altersgrenze einschießen, ab der sie von der Einsichtsfähigkeit ausgehen würden.
5. Hat das Urteil Auswirkungen, wenn auf eine Abmahnung hin bereits eine Unterlassungserklärung abgegeben und Zahlungen geleistet wurden?
Hier lautet die Antwort leider: Nein. Haben Sie bereits vergleichsweise einen Betrag gezahlt, können Sie diesen nun nicht zurückfordern.
Hinsichtlich einer abgegebenen Unterlassungserklärung führt eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtssprechung immer zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht. Würde in einem dem BGH-Urteil unterfallenden Sachverhalt nun eine Vertragsstrafe geltend gemacht werden, wäre dieses Verhalten rechtsmissbräuchlich. Ein aktives Tun oder gar eine anwaltliche Beratung sind hier jetzt daher nicht notwendig.
Konsequenzen für das Vorgehen bei Erhalt einer Abmahnung
Sollten Sie eine Filesharing-Abmahnung erhalten haben und sollte ein minderjähriges Kind in ihrem Haushalt als Täter in Frage kommen, sollten Sie sich in jedem Fall zunächst von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten lassen. Hierfür stehen wir Ihnen gerne bundesweit zur Verfügung.